Skan
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Was ist Skan? | Christian Guth

Christian Guth

Gut oder Schlecht?
Hyperventilation in der Körperpsychotherapie

Ohne zu wissen worum es ging, begann ich im Alter von elf Jahren mit Hyperventilation zu experimentieren. Ich hatte damals einen älteren Freund, den ich sehr bewunderte. Ganz genau erinnere ich mich noch an jenen verregneten Samstag nachmittag, als mein Freund verkündete, er habe ein neues Spiel entdeckt und wolle es mit mir ausprobieren. Er wies mich an, die Augen zu schließen und zehnmal tief ein und aus zu atmen. Beim zehnten Atemzug umfasste er meinen Brustkorb von hinten und drückte ihn so fest zusammen, dass ich kein weiteres Mal mehr Luft holen konnte. Meine nächste Erinnerung ist, dass ich mich am Boden liegend wiederfand, über mir das triumphierende Gesicht meines Freundes. Mein ganzer Körper prickelte und ich empfand ein eigenartiges Gefühl von Leichtigkeit und Glück, das ich bis dahin nicht gekannt hatte. Aufgeregt rannte ich nachhause, um die Neuentdeckung sofort an meinem Bruder auszuprobieren. Dieser war erst sieben Jahre alt und stimmte meinem Vorschlag willig zu. Als ich gerade dabei war, seinen Brustkorb zusammen zu drücken, trat plötzlich ein unerwartetes Ereignis ein: Mein Bruder erstarrte am ganzen Körper wie zu einer Statue. Ich dachte zunächst, er mache Spaß. Als ich realisierte, dass er nicht bei Sinnen war, durchzuckte mich ein furchtbarer Schrecken und nur mit Mühe konnte ich verhindern, dass er ungebremst zu Boden stürzte. Da lag er jetzt vor mir, steif und starr, die Augen weit aufgerissen und verdreht. Zitternd hockte ich daneben, wagte nicht, ihn zu berühren und in meinem Schädel hämmerte es: "Ich habe ihn umgebracht!" Nach einigen Sekunden, die eine Ewigkeit dauerten, geschah plötzlich ein Wunder: mein Bruder begann mit den Augenlidern zu zucken, den Kopf zu drehen und die Arme zu bewegen. Auf meine atemlosen Fragen antwortete er nicht, sondern schien in erster Linie verwundert. Er lief schließlich aus dem Raum, und ich blieb zurück, erschrocken und fasziniert gleichermaßen. Wie eine Geheimlehre verbreitete sich das "Hyperventilationsspiel" unter uns Spielkameraden, und wir verbrachten viele Wochenenden damit, uns in dieses "gute Gefühl" zu versetzen.

Später, als Arzt in der Notfallaufnahme des Krankenhauses begegnete mir Hyperventilation auf eine andere Art: Meist in der Gestalt junger Frauen, die von ängstlich erregten Begleitern ins Behandlungszimmer gebracht wurden. Die Patientinnen schienen sich in einem eingetrübten Bewusstseinszustand zu befinden, atmeten hochfrequent durch gespitzte, leichenblasse Lippen und streckten ihre Hände aus, die zu der charakteristischen "PfötchensteIlung" verkrampft waren. Lege artis versuchte ich zunächst, den Patientinnen und ihren Begleitern beruhigend zuzureden. Wenn das nichts half, griff ich zur "Plastikbeutelmethode" oder injizierte Valium intravenös als ultima ratio. Nach erfolgreicher Therapie vermerkte ich in der Ambulanzkarte "Hyperventilationstetanie bei neurasthenischer Persönlichkeitsstruktur".

Mittlerweile habe ich diesen pragmatischen Weg verlassen. Intensive Therapieerfahrung mit Körperarbeit haben mein Bewusstsein und meine Einstellung gegenüber Hyperventilation verändert. Die Erfahrungen der Kindheit sind mir wieder viel näher, als der medizinische Umgang mit diesem

interessanten Phänomen.

"Hyperventilation" ist ein medizinischer Fachausdruck und bedeutet wörtlich "Überatmung". Der Terminus impliziert, dass man zuviel atmen kann, so, wie man etwa zuviel essen oder zuviel trinken kann. Ist das möglich?

Die Antwort auf diese Frage ist komplex und scheint - so hochtrabend das klingen mag - vom Paradigma des Betrachters abzuhängen, der sich in einer Welt explodierender Information, konkurrierender Glaubenssysteme, fachlicher Spezialisierung und Fragmentierung des Wissens zurecht finden muss. Wenden wir uns zunächst der wissenschaftlichen Medizin zu, die auf dem Kartesianisch - Newtonsehen Weltbild beruht. Dort erfährt man:

Der Anblick eines hyperventilierenden Menschen löst bei Laien wie manchmal auch bei Ärzten Angst und Besorgnis aus. Die ausgeprägte Ruhedyspnoe (Störung der Atmung in körperlicher Ruhe), die beschleunigte und vertiefte Atmung sowie teilweise ungewöhnliche Verrenkungen der Extremitäten erwecken den Eindruck einer akut lebensbedrohlichen Situation, die sofortige lebensrettende Maßnahmen notwendig erscheinen lässt.

Die Hyperventilation ist definiert als metabolisch (den Stoffwechsel betreffend) inadäquate Atmung, verbunden mit einem Abfall des arteriellen Kohlendioxidpartialdruckes (gemeint ist, dass das Gleichgewicht, das normalerweise im Körper zwischen Säuren und Basen besteht, gestört wird. Durch die vertiefte Ausatmung wird relativ zuviel Kohlendioxid - eine Säure - an die Umgebung abgegeben und der Basengehalt des Blutes steigt an). Treten infolge der Hypokapnie (Kohlendioxidmangel) Symptome auf, werden diese unter dem Begriff "Hyperventilationssyndrom" zusammengefasst.

Klinisch kann zwischen einer akuten und einer chronischen Form des Hyperventilationssyndroms unterschieden werden. Die Symptome sind nicht, wie häufig angegeben, durch einen Abfall des Calcium - Spiegels (ein Blutsalz, das u.a. für die Muskeltätigkeit von Bedeutung ist) im Blut verursacht, sondern durch den relativen Säueremangel. Fast alle Symptome, die bei Hyperventilation auftreten können, lassen sich auf zwei pathophysiologische Ursachen zurückführen: Eine Übererregbarkeit des Nervensystems und eine Verengung bzw. Erweiterung der Blutgefäße in bestimmten Organsystemen. An Symptomen beobachtet man Angst, Atemnot, Parästhesien (Missempfindungen, Kribbeln, Ameisenlaufen, etc.) an den Händen, im Gesicht und am Rumpf; spastische Muskelkrämpfe an den Fingern, Zehen, um den Mund herum, manchmal auf den gesamten Körper übergreifend. Die Verengung der Blutgefäße im Gehirn (Durchblutungsverminderung bis zu 40%) führt zu Schwindel, Sehstörungen, Kopfschmerzen, Ohrensausen, Halluzinationen, vorübergehenden Lähmungen, Bewusstseinstrübungen oder gar zu Bewusstseinsverlust. Eine Verengung der Herzkranzgefäße kann zu Schmerzen im Brustbereich führen, bei vorgeschädigtem Herzen möglicherweise zu Herzrhythmusstörungen und Herzinfarkt. Verengung der Hautblutgefäße hat eine Weiß- bis Bläulichfärbung und Kältegefühl zur Folge. In der Skelettmuskulatur wird die Durchblutung zunächst verstärkt und nach einiger Zeit herabgesetzt. Die Konzentration an Serum-Katecholaminen (Adrenalin, Noradrenalin) ist erhöht, was eine Steigerung der Herzfrequenz und andere Mechanismen der "Stressanpassung" wie Schweißausbruch, Herabsetzung der Darm- und Nierentätigkeit u.a. zur Folge hat. Gemessen wurde auch eine vermehrte Ausschüttung von Endorphinen ("Glückshormone").

Als Ursachen kommen für das Hyperventilationssyndrom psychogene (70%), organische (5%) und kombinierte (25%) Faktoren in Betracht. Angst und Panik stehen als psychogene Ursachen an erster Stelle, Asthma bronchiale als organische Ursache. Ein willkürlicher Hyperventilationsversuch wird zur Diagnose eingesetzt. Er gilt als positiv, wenn nach dreiminütiger Hyperventilation die selben Symptome auftreten, wie während eines Anfalles. Dass es nur bei bestimmten Menschen zum Auftreten eines Hyperventilationssyndroms kommt, soll damit zusammenhängen, dass diese Menschen vorwiegend Brust- und kaum Bauchatmung einsetzen. Beobachtet wurde, dass die Kranken während eines Gespräches häufiger gähnen oder seufzen. Überzufällig häufig zeigen die Patienten eine depressive oder ängstliche Persönlichkeitsstruktur mit perfektionistischem Anspruch sowie vermehrt Schwierigkeiten in der psychosozialen Anpassung. Frauen sollen deshalb

häufiger betroffen sein, da die weiblichen Geschlechtshormone (Progesteron und Östrogen) zyklusabhängig den Kohlendioxidspiegel im Blut senken und das Atemzentrum im Gehirn aktivieren. Aus der Psychiatrie wird berichtet, dass induzierte Hyperventilationssitzungen, v.a. in Kombination mit Drogeneinnahmen, mitunter schwere psychische Störungen auslösen.

Therapeutisch kann die akute Hyperventilation durch ein beruhigendes Gespräch meist zum Abklingen gebracht werden. In Ausnahmefällen kann durch Rückatmung der eigenen Ausatemluft über einen Plastiksack die Symptomatik gebessert werden. Sehr häufig steigert dieses Manöver aber die Angst der Patienten, und sie beginnen erneut zu hyperventilieren. Die erste und wichtigste Maßnahme bei der chronischen Hyperventilation ist es, den Patienten den Zusammenhang zwischen den Beschwerden und seinem abnormalen Atemverhalten zu erklären und verständlich zu machen. Das kann durch ein Gespräch, wirkungsvoller aber durch einen willkürlichen Hyperventilationsversuch erfolgen. Den Patienten und ihren Angehörigen kann damit die Assoziation der abnormalen Atmung mit den Symptomen eindrücklich demonstriert werden. Folgt dem "therapeutischen Hyperventilationsversuch" nicht die gewünschte Besserung, so stehen als weitere Möglichkeiten medikamentöse oder verhaltensändernde Maßnahmen zur Auswahl. Am Häufigsten werden Benzodiazepine (Beruhigungsmittel) eingesetzt, die allerdings nur kurzfristig Besserung bringen und die Gefahr von Abhängigkeit in sich bergen.

...in summary, we believe clinical and physiologic assessment in combination with psychiatric support can supply a promt, positive, and informed approach leading to a clear treatment strategy that is vital to prevent the rapid descent into iatrogenic chronic invalidism and somatization which is all too commonly the fate of these otherwise fit and often young patients...(I, 2).

Wie wir sehen, versteht die Schulmedizin Hyperventilatian als Störung oder als Erkrankung (Hyperventilationssyndrom), die therapiebedürttig ist, und in manchen Fällen akut gefährlich werden (z.B. Auslösung eines Schlaganfalles, Herzinfarktes oder einer Psychose), in anderen Fällen zu chronischer Invalidisierung führen kann. Interessanterweise wird eine iatrogene, d.h. durch den Arzt verursachte, Invalidisierung angeführt. Das Verständnis ist mechanistisch, funktional, J. Redfearn schreibt:

...die wissenschaftliche Medizin hat wahrscheinlich mitgeholfen, uns vom Erleben unseres eigenen Körpers und von unseren Gefühlen abzuschneiden. Früher beschäftigten sich die medizinischen Systeme überall auf der Welt vorwiegend mit dem Körper, wie wir ihn konkret erleben, während heute die westliche Medizin sich immer ausschließlicher für den Körper interessiert, wie er sich im

Sezierraum und im physiologischen Labor präsentiert.

Wollen wir uns damit zufrieden geben? Natürlich nicht, also auf zu Wilhelm Reich. Was lehrt er uns über Hyperventilation? Interessanterweise nichts! Zumindest nichts Explizites. Wir erfahren höchst Anschauliches über verschiedene Formen der Atemblockierung in Reichs Charakteranalyse; und über Möglichkeiten der Auflösung in seiner Vegetotherapie (Reich: "Bei der Auflösung der Brustpanzerung haben wir der Kranken veranlasst, willkürlich und mit Gewalt die Atmung zu forcieren" (3).

Wir können davon ausgehen, dass manche Patienten Reichs im klassischmedizinischen Sinn hyperventilierten und er mit den charakteristischen Symptomen vielfach konfrontiert war. Es ist jedoch verwunderlich, dass er diesem Phänomen in seinem umfangreichen Werk keine gesonderte Bedeutung schenkte. Oder nennt er das Kind nur nicht beim Namen? Kann Hyperventilation nicht sehr rasch Panzerungen in den Segmenten zu Tage fördern, können nach Hyperventilation nicht Strömungsempfinden, konvulsivische Reflexbewegungen - sprich "Orgasmusreflex" - und andere Phänomene "vegetativer Beweglichkeit" deutlich in Erscheinung treten? War und ist Hyperventilation nicht einer der wesentlichen Faktoren, die Reichs Therapieerfolge ausmachten? Wir alle wissen, dass Reich alles andere als ein mechanistischer Atemtherapeut war und sein Werk ein viel tieferes Verständnis des Lebendigen voraussetzt, als die Schulmedizin mit ihren naturwissenschaftlichen Begrenzungen je erreichen kann. Trotzdem, wie arbeitete Wilhelm Reich? Und vor allem: Wie ist Hyperventilation in der Körperarbeit heutzutage einzuordnen?

Die Zeiten haben sich verändert seit damals. Reich war in seinem Selbstverständnis ein Naturwissenschaftler, der mit Albert Einstein einen Austausch über seine Experimente pflegte. Und, er war seiner Zeit weit voraus. Der typische Reich-Epigone im Jahre 1997 steht der traditionellen Naturwissenschaft (so er etwas davon versteht - was eher seiten der Fall ist) kritisch gegenüber und ist damit ein typisches Kind in seiner Zeit. Einer Zeit, die dem Wissenschaftsparadigma ein neues, gemeinhin als holistisch bezeichnetes Paradigma gegenüberstellt. Esoterisches Wissen, paranormale und spirituelle Erfahrungen aus westlichen und' östlichen Traditionen gewinnen zunehmend an Bedeutung, der wissenschaftliche Empirismus ernährt seine Ergänzung, möglicherweise seine Ablösung, durch einen mystischen Empirismus. Zur "Neubewertung" des Daseins und seiner Phänomene wird vielfach auf sehr altes, manchmal über Jahrhunderte geheim gehaltenes Wissen, zurückgegriffen und mit den Erfahrungen der Neuzeit vermengt. So auch geschehen mit Hyperventilation.

Will sich der begeisterte Körpertherapeut dieser Tage der Hyperventilation holistisch nähern, bietet sich die Beschäftigung mit einer Jahrtausende alten Kunst des Atmens an, genannt "Pranayama". Pranayama ist die vierte Stufe des achtstufigen indischen Yoga und "die Brücke, über die der Yoga-Praktizierende aus dem Bereich der körperlichen Übungen in den der geistigen Entwicklung fortschreitet". Die Lektüre des Buches "Licht auf Pranayama" von B.K.S. Iyengar genügt, um den Hochmut zu verflüchtigen, den man im Zusammenhang mit "ganzheitlicher" Körperarbeit da und dort verspürt. Yehudi Menuhin schreibt im Vorwort:

...Iyengar hat ein Buch in die Hände des Laien gelegt, das in gewisser Hinsicht mehr Kenntnisse, mehr Wissen und mehr Weisheit in einer einheitlichen Form vermittelt, als den hervorragendsten Köpfen unserer westlichen Schulmedizin zur Verfügung steht, denn es enthält eine Medizin der Gesundheit und nicht der Krankheit und zeigt ein Verständnis für Geist, Körper und Seele, er belehrt uns in Übereinstimmung mit der alten indischen Philosophie, dass Leben nicht nur "Staub zu Staub" sondern "Hauch zu Hauch" ist, dass die Materie, wie im Prozess der Verbrennung, in Wärme, Licht und Strahlung verwandelt werden kann, woraus wir Kraft gewinnen können Einsteins Gleichung von Masse und Energie wird vervollständigt und in lebendige, menschliche Fleischwerdung übersetzt. Es läuft nicht auf die Atombombe, die Zertrümmerung des Atoms und die Ausbeutung der Materie hinaus, sondern auf das Durchstrahlen des Menschen mit Licht und Kraft, den wahren Quellen der Energie...lyengar, mein Guru in der Praxis des Yoga hat dem Leben der Menschen im Westen eine neue Dimension aufgetan. In dem Buch sind zahlreiche Atemtechniken beschrieben, wovon einige("Ujjayi pranayama") unserem Hyperventilieren ähneln. Diese werden übrigens dem Praktizierenden ganz am Anfang empfohlen. Man erfährt auch, dass Pranayama nur unter strenger Aufsicht eines Meisters praktiziert werden sollte, und sei dann die via regia zu Wohlergehen, Freiheit und Glück. Im Übrigen sollte mit Pranayama erst dann begonnen werden, wenn die Asanas d.h. die verschiedenen Körperstellungen des Yoga einwandfrei beherrscht werden. Erlernen der Asanas erfordert normalerweise eine jahrelange strenge Praxis. Eine falsche oder zu frühe Anwendung von Pranayama berge große Gefahren in sich und könne zu schweren Schäden an Körper, Geist und Seele führen. (4)

Ernüchterung stellt sich ein, vielleicht sogar Angst: Rühre ich, noch immer ohne zu wissen, was ich tue, an etwas viel Größerem, etwas, das viel zu bescheidenen Ausdruck in Goethes Zauberlehrling "...die ich rief, die Geister werd' ich nun nicht los..." - findet? Ich wage zu behaupten: Ja. Aber, Angst bedeutet Kontraktion und, habe ich nicht am eigenen Leibe und den Leibern meiner Kolleginnen und Kollegen, Klientinnen und Klienten unzählige Male die Segnungen verstärkter Atmung erlebt? Zweifelsohne. Trotzdem, ich selbst sah Menschen nach Körperarbeit und Hyperventilation "austicken", musste sie -oder glaubte zu müssen- mit Psychopharmaka behandeln.

Ist Hyperventilation also schlecht, gefährlich? Sucht man, an diesem Punkte angekommen, nach beruhigenden, ermutigenden Antworten, tun sich berühmte Münder auf. Zum Beispiel der von Stanislav Grof. Selbst Arzt und Psychiater, betrachtet Grof Hyperventilation als eine von mehreren Möglichkeiten, unbewusste, perinatale und transpersonale Aspekte des Menschen ins Bewusstsein zu heben. Zu der von ihm entwickelten Technik des "Holotropen Atmens" schreibt er:

Wir haben nun das holotrope Atmen mit vielen Tausenden von Menschen praktiziert und dabei festgestellt, dass die Vorstellungen von den Auswirkungen der Hyperventilation nicht zutreffen. Es gibt viele Personen, bei denen selbst massives Hyperventilieren über längere Zeit nicht zum klassischen "Hyperventilationssyndrom" führt, sondern zu zunehmender Entspanntheit, intensiven sexuellen Empfindungen oder sogar zu mystischen Erlebnissen. Bei anderen bauen sich Spannungen in verschiedenen Teilen ihres Körpers auf, aber in Mustern, die sich von den "karpopedalen Spasmen" sehr unterscheiden. Außerdem führt weiteres Hyperventilieren nicht zu einer allmählichen Zunahme dieser Spannungen, sondern zu einem Punkt maximaler Spannung, auf den tiefe Entspannung folgt. Dieser Verlauf hat in der Regel Ähnlichkeit mit einem sexuellen Orgasmus. Außerdem ist nach mehreren holotropen Sitzungen eine allgemeine Tendenz in Richtung auf zunehmenden Abbau von Muskelspannungen und von problematischen Emotionen zu beobachten. Dabei geschieht offenbar Folgen des: Der Organismus reagiert auf die veränderte biochemische Situation damit, dass er verschiedene tiefsitzende Spannungen in Form Von mehr oder weniger stereotypisierten Mustern an die Oberfläche bringt und sich von ihnen durch

periphere Entladung befreit. Dieses Eliminieren oder Reduzieren von aufgestauten Energien in holotropen Sitzungen kann sich auf zweierlei Weise vollziehen.

Die erste ist die Form der Katharsis und des Abreagierens, zu dem Zittern, Zuckungen, dramatische Körperbewegungen, Husten, Würgen, Erbrechen, Schreien und andere stimmliche Äußerungen oder eine gesteigerte Aktivität des autonomen Nervensystems gehören. Dieser therapeutische Mechanismus der Katharsis ist in der traditionellen Psychiatrie wohlbekannt, seitdem Sigmund Freud und Joseph Breuer ihre Studien über Hysterie veröffentlichten. Er ist im herkömmlichen Rahmen vor allen Dingen bei der Behandlung traumatischer Neurosen eingesetzt worden und wird sehr häufig auch in den neuen Selbsterfahrungstherapien angewendet, etwa von den Neo-Reichianern, den Gestalttherapeuten und den Primärtherapeuten. Wenn man diesen Mechanismus nicht auf die biographische Ebene beschränkt, sondern ihm gestattet, auch auf die perinatale und transpersonale Ebene überzugreifen, dann erweist er sich als sehr selektives Mittel für den Abbau emotionaler und psychisch bedingter körperlicher Spannungen. Der zweite Mechanismus verkörpert ein Prinzip, das in der Psychiatrie und Psychotherapie neu ist, das aber in vieler Hinsicht noch effektiver und interessanter erscheint. Die tiefsitzenden Spannungen gelangen in Form von länger anhaltenden Kontraktionen und Spasmen an die Oberfläche. Durch die Aufrechterhaltung eines solchen Grades muskulärer Anspannung über längere Zeiträume verbraucht der Organismus enorme Mengen an aufgestauter Energie und vereinfacht seine Funktionsweise, indem er sie los wird.

Ein typisches Ergebnis einer guten holotropen Sitzung ist tiefe emotionale Erleichterung und körperliche Entspannung. Das längere Hyperventilieren ist eine äußerst effektive Methode zu emotionaler und psychosomatischer Gesundheit. Das spontane Hyperventilieren mancher psychiatrischer Patienten kann also als ein Versuch zur Selbstheilung gewertet werden. Diese Auffassung findet sich auch in der spirituellen Literatur. Im Siddha- und Kundaliniyoga wird das bewusste Hyperventilieren als eine Meditationstechnik eingesetzt. Rasches Atmen tritt häufig auch spontan als eine der Manifestationen von Shakti (der aktivierten Kundalini-energie) auf, die man als Kriyas bezeichnet. Diese Beobachtungen legen nahe, dass man spontan auftretendes rasches Atmen bei psychiatrischen Patienten unterstützen sollte statt es mit allen möglichen Mitteln zu unterdrücken(5).

Was will man mehr? Ein holistisches Modell für jedermann, das Bedenken der Schulmedizin genauso ausräumt, wie es alte spirituelle Lehren kurzerhand für seine Zwecke verwurstet. Und noch dazu, laut Grof, ungefährlich. Bei genauerem Hinsehen stellt man jedoch fest dass selbst ergebene Jünger von Stanislav Grof und Leonard Orr (Erfinder des "Rebirthings", einer ähnlichen Technik wie das holotrope Atmen) zur Vorsicht mahnen. So schreibt beispielsweise Micheal Sky in seinem Buch "Breathing":

...the practice of deep circular breathing encourages strong flows of life energy and the release of long-held psychemotional patterns of contraction. At times, an individual's experience as the energy moves can be quite upsetting, and it may elevate into kundalini crisis, or-spiritual emergency - a time of crisis caused by the rapid emergence of a new energetic reality. A wide range of physical, mental, emotional, and spiritual effects may occur. At their worst, such effects may resemble psychotic episodes, nervous breakdowns, or severe bouts of depression.

Es wird zwar versucht, derartige Vorkommnisse in das "holistische Konzept" einzubauen

...understood within the context of life energy, all such effects represent a healing in process: the individual is in the midst of resolving deep and significant patterns of contraction...

aber offenbar beängstigende Erfahrungen geben zu bedenken:

...while this may easily be accepted during a breathing session, it is possible that some effects will emerge in between sessions, which can be especially upsetting.

Wie bei einem solchen "Notfall" vorzugehen ist, wird in der Folge beschrieben und klingt wenig überzeugend:

...An individual in crisis is first and always reminded to breathe. Asimple calming breath, slow and gentle through the nose, following an easy rhythm and sustained for several minutes, will encourage relaxation and peaceful resolution. Also any form of bodywork or massage therapy that can help one to physically and emotionally relax will be very helpful during a crisis. Likewise, acupuncture tends to balance the body's energies, thus helping in a crisis...

Überzeugender aber wenig attraktiv ist dann das Folgende:

"...Traditional Western medicin is most emphatically not recommended for those in the midst of kundalini crisis, or spiritual emergency. With little or no understanding of energy, and thus the effects of moving energy it is impossible for Western medical parctitioners to understand what is happening during a crisis Typically, they will diagnose an individual as sick / ill / unhealthy and then prescribe medication, hospitalization, or electroshock therapy. Typically, people do not

improve from such treatments, and, tragically, our mental health system is filled with people who were energetically evolving until they landed in a mental health expert's office" (6).

Man mag über "Spirituelle Krisen" denken wie man will, gesichert ist jeden falls, dass Hyperventilation und Körperarbeit (wie natürlich viele andere Ereignisse im Leben auch) Psychosen auslösen können. Und, wer die Psychiatrie von innen kennt, weiß, dass es kein Spaß ist, dort zu landen.

Leider können wir auch in dieser Angelegenheit Vater Reich nicht konsultieren. David Boadella, einer der anerkanntesten Reichianer, äußert sich zu dem Thema nur am Rande, und unklar. Er schreibt:

In the last decade or more a number of therapies have used hyperventilation deliberately as a therapeutic tool, in the belief that they are "creating more feeling" or "breathing through the resistance" if they push a person into a carbon dioxide deficiency. Rebirthing therapy has specifically advocated this as a method and has consistently ignored the fact that the hyperventilation symptoms are the body's distress signals in response to a deficiency. The resulting overload on the psychic system, as disorientation or confusion, or on the somatic system, as increased tension or spasm, can occasionally be lethal (7).

Boadella stellt sich hier völlig auf die Seite der Schulmedizin. Andererseits ist er als Reichianer vertiefter Atmung verpflichtet. In seinen Ausführungen folgt dann der Bericht von einem Mann, der nach einer Rebirthing-Sitzung seine Vermieterin umbrachte, und von einem anderen Mann aus Deutschland, der während einer Hyperventilation an einem Herzinfarkt verstarb. Fast etwas

komisch klingt schließlich der Bericht aus London, wo ein Therapeut durch eine bioenergetische Stressposition bei einem Klienten eine latente Klaustrophobie aktiviert haben soll. Der Klient hätte gedroht, sich nach sechs Monaten umzubringen, wenn bis dahin die Klaustrophobie nicht verschwunden sei. Gott sei Dank sei sie früher wieder abgeklungen.

Boadella behauptet, dass Symptome des Hyperventilationssyndroms nur bei Menschen auftreten, die zuwenig einatmen. Die Praxis zeigt, dass das nicht stimmt. Wenn auch bei ausgeglichener aktivierter Atmung beispielsweise Muskelkrämpfe seltener vorkommen, sind viele andere Symptome ( Benommenheit, verändertes Körpergefühl, Schmerzen, Hautverfärbungen, Angstzustände, psychische Veränderungen, etc.), die die Medizin dem Hyperventilationssyndrom zuschreibt, praktisch in jeder Mattensitzung zu beobachten. Dazu sei nebenbei ergänzt, dass neuerdings sogar die Schulmedizin die Existenz des Hyperventilationssyndroms per se in Frage stellt (8). Ein möglicher spiritueller Aspekt in Zusammenhang mit Hyperventilation findet bei Boadella keinerlei Erwähnung. Etwas überspitzt könnte man jedoch die Frage formulieren: "Sind die Erfahrungen, die jeder Mensch im Rahmen von Hyperventilation machen kann rein biologisch-biochemische Reaktionen eines Organismus, der sich in einem relativen Stoffwechselungleichgewicht befindet, oder sind es etwa Manifestationen spirituellen Erlebens?"

In SKAN - Kreisen bemüht man sich, Körperarbeit und Spiritualität auseinander zu halten, für meine Begriffe jedoch nicht immer schlüssig. Ralf Hausmann schreibt sinngemäß, es gäbe einen therapeutischen Weg, wie zum Beispiel Vegetotherapie, der dazu diene, die Ich-Funktionen auszuweiten, sich im Strömen gut zu fühlen, und dieses Gefühl möglichst nicht nur auf der Matte sondern auch im normalen Leben zu halten. Und, es gäbe einen spirituellen Weg, der mit der Auflösung des Egos zu tun hätte, der Verbundenheit mit der Welt durch bewusste Hereinnahme von Leid und Tod ins Leben, usw. Mit Strömem sei das nicht beabsichtigt. Reich tauge nicht als Erlöser und die Orgonomie nicht als spiritueller Weg. Gegensätze also, wenngleich konzediert wird, dass SKAN für den spirituell Praktizierenden nützlich sein kann, da es bestimmte Charaktereigenschaften wie Hingabe, Durchhaltevermögen, Offenheit, gelassene Aufmerksamkeit, etc. auszubilden helfe. Am Schluss, nach einem Ausflug in den tibetischen Buddhismus, heißt es dann

Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie Sogyal Rinpoche manchmal mit engeren Schülern arbeitet. Das sieht der Ausdrucksarbeit in SKAN verblüffend ähnlich(9).

Hängt es also vom Guru versus Therapeuten ab, ob Erfahrungen mit Hyperventilation spirituell sind oder nur biochemisch?

Auch Loil Neidhöfer stellt seinem Artikel "Wilhelm Reich der Mann des Jahrhunderts" (10) einen längeren Exkurs über Spiritualität voran und wirft dann Reich vor, er "habe am Ende Verwirrung gestiftet indem er orgonotisches Funktionieren mit dem spirituellen Prozess vermengt hätte". Therapie habe nichts mit Spiritualität zu tun. An anderer Stelle wird gefordert, der Körpertherapeut müsse nicht nur im Sinne des neuen Wahrnehmungsparadigmas umgelernt haben und...der Welt mit fühlender Wahrnehmung begegnen können, er muss auch die besondere Form der Panzerung hinter sich gelassen haben, die durch narzisstische Identifikation mit dem Therapeut-Sein entsteht.

Ist damit vielleicht implizit auch Ego-Transzendenz gemeint? Und weiter

...die Arbeit führt oft zu ungekannten, ekstatischen körperlichen Erfahrungen, aber sie erschüttert auch in schmerzlicher und subjektiv bedrohlicher Weise jede Lebenslüge, jeden neurotischen Kompromiss...

Kann nicht Ähnliches in spiritueller Praxis geschehen? Was passiert, wenn dieser "neue" Therapeut, der nach Loils Meinung kein Therapeut mehr im Sinne des alten Paradigmas ist (Subjekt-Objekt Trennung, "klinische" Haltung, analytisch-separierendes Wahrnehmen, therapeutisches Selbstverständnis, therapeutische Haltung, etc.), das "Instrumentarium der Arbeit, die Techniken, sinnvoll, d.h. panzerlösend einsetzt", zB. bei einem Klienten Hyperventilation auslöst? Induzieren SKAN - Therapeuten spirituelle Prozesse, ohne es zu wissen? Oder sind SKAN - Therapeuten einfach demütig und klug genug, nicht zu glauben, sie hätten ein allheilbringendes "Bio-Spiri-Produkt" wie etwa Rebirther und Holotropisten? Mit Sicherheit.

Zurück zur Frage "Hyperventilation in der Körperarbeit, gut oder schlecht?" Wenn man "Hyperventilation" weiter fasst, als mit dem obskuren "Hyperventilationssyndrom" gemeint ist, ist die Frage keine Frage. Denn, Aktivierung der Atmung ist das einfachste Mittel Ladung aufzubauen und ohne Ladung keine Körperarbeit. Was aber (va. tun), wenn dann doch die "beängstigenden Symptome" auftreten? Meiner Meinung nach, treten "Symptome" auf, sobald jemand ein paar tiefere Atemzüge nimmt. Ich habe den Eindruck, dass sich der Klient beim "klassischen" Hyperventilationssyndrom aus dem Kontakt mit dem Therapeuten zu entfernen scheint. Er zieht sich in sich zurück, verflacht und beschleunigt die Atmung, kehrt das Bewusstsein nach innen, Kontraktionen in verschiedenen Körperregionen sind eindrücklich sichtbar. Man könnte die sich einstellende Eigendynamik des Organismus als einen besonderen Ausdruck von Panzerung, Kontaktvermeidung betrachten. So, als würde ein innerer Alarm signalisieren: "Achtung, sie könnten jetzt gepanzertes Territorium verlassen!"

Die Basisintervention des Therapeuten ist, Kontakt zu halten oder wieder herzustellen. Das kann verbal sein, zB. auffordern, tiefer und ruhiger ein zu atmen, manuell durch entsprechende Berührungen oder einfach durch Präsenz im orgonomischen Sinn. Es heißt nicht, den Prozess zu unterbrechen. Jedoch, sehr wohl zu akzeptieren, wenn die Klientln nicht weitergehen will. Hyperventilieren an sich ist zwar risikoarm (statistisch gesehen, sind schlafen, essen, gehen, ganz zu schweigen von Radfahren, viel gefährlicher). Das wahre Risiko ist die Entpanzerung. Eine ausgeprägte Hyperventilationssymptomatik kann als Signal des Körpers heißen: "Bitte nochnicht entpanzern, oder nicht so rasch". Denn, dass es sich bei zunehmender Entpanzerung nicht unbedingt leichter lebt, wird der Leser möglicherweise bestätigen. Vorsicht ist also geboten. Um keinen Schaden anzurichten, sollten bei dieser faszinierenden, sehr wohl in Grenzbereiche vordringenden Arbeit, Therapeuten am Werk sein, die Kriterien erfüllen, wie Loil sie postuliert.

Abschließend möchte ich aus meiner eigenen therapeutischen Praxis zwei eindrückliche "Fälle" schildern, die auch zeigen, wie individuell unterschiedlich Hyperventilation in Erscheinung treten kann.

Dagmar, eine 35jährige Frau, kommt zur ersten Sitzung. Sie ist Künstlerin, groß, schlank, beschreibt sich selbst als eher ängstliche Persönlichkeit. Obwohl sich ihr Leben in geordneten Bahnen bewege, sei sie an einem Punkt angekommen, wo sie nicht weiter wisse. Seit Monaten leide sie unter Schlafstörungen, Lustlosigkeit und einem Gefühl innerer Leere. Sie vermute, ihr Zustand habe mit ihrer Kindheit zu tun, sie könne aber keine Ursachen finden. Ihr Körper wirkt beweglich und durchlässig, es fällt ihr leicht, die Atmung zu vertiefen. Nach wenigen Minuten beginnt sich plötzlich ihre rechte Hand zu verkrampfen und dunkelblau zu verfärben. In der linken Hand, die nicht verkrampft ist, und um den Mund herum nimmt sie das typische Kribbeln war. Dagmar scheint zunächst amüsiert über das eigentümliche Phänomen, durch den dann eintretenden Schmerz ist sie irritiert, atmet aber weiter. Plötzlich tritt blankes Entsetzen in ihr Gesicht und sie flüstert: "Die Hand meines Großvaters, bleibt die jetzt so?" Ich verneine instinktiv und versuche,

Kontakt zu halten. Wie ein Film laufen Bilder aus ihrer Kindheit vor ihrem inneren Auge ab, begleitet von einer dramatischen emotionalen Entladung. Ihr Großvater war nach einem Schlaganfall am rechten Arm gelähmt. Er hatte durch seine Behinderung die ganze Familie gequält. Gleichermaßen innige und traumatische Erfahrungen mit ihm waren plötzlich wieder in Dagmars

Bewusstsein getreten. Auslösend hatte die biologische Identifikation mit dem gelähmten Arm während der Hyperventilation gewirkt. Sie begann Zusammenhänge mit ihrem Leben herzustellen und fühlte sich nach der Sitzung ihrer persönlichen Wahrheit ein Stück näher gekommen.

Julia ist 27, lebt und arbeitet als Landwirtin, was ihr zarter Körperbau nicht vermuten lässt. Sie war innerhalb kurzer Zeit trotz Spirale mehrmals schwanger geworden und hatte diese Kinder nach wenigen Monaten verloren. Das letzte bei der Arbeit auf dem Feld, wo sie einen Blutsturz erlitten und den Foetus in ihre Hände geboren hatte. Sie war darüber so verzweifelt, dass sie immer wieder an Selbstmord dachte. Bei der Sitzung traten die typische Hyperventilationssymptome erst relativ spät auf. Dann aber in einer Stärke, dass ich zunächst erschrak. Sie konnte nicht mehr sprechen, von tetanischen Krämpfen waren nicht nur Hände und Füße sondern auch die gesamte Rückenmuskulatur betroffen, was zu bizarren Verkrümmungen des Körpers führte. Obwohl der Arzt in mir stark danach verlangte, "einzugreifen", hielt mich etwas anderes, Unbestimmtes zurück. Nach einigen Minuten ließen die Krämpfe nach und sie atmete kräftig und rund. Auf einmal war mir, als sei sie von einem hellen Licht umgeben, das den gesamten Raum erfüllte. Ich nahm ein intensives Gefühl von Glück wahr. Julia schien sich in Trance zu befinden, sie lachte und weinte zur selben Zeit, unwillkürliche Zuckungen durchliefen ihren Körper. Ich saß gebannt neben ihr, dankbar, dass ich bei ihrem Erleben dabeisein durfte. Sie berichtete im Anschluss von einem dunklen Tor, durch das sie mit heftiger Angst gegangen sei um dann einen ekstatischen

Zustand zu erleben, der über die Erfahrung eines "normalen" Orgasmus weit hinausgegangen war. Es sei ihr irgendwie klar geworden, dass ihr Organismus nach Mutterschaft verlange. Sie hatte bisher versucht, dieses Verlangen aus Angst zu unterdrücken. Diese Angst erschien ihr nun klein und lächerlich im Vergleich zu der Fülle, die sie in ihrem Frau- und Muttersein erleben konnte.

In beiden und auch in vielen anderen Fällen meiner Arbeit, hatte das spontan auftretende Hyperventilationssyndrom für die Betroffenen eine sehr wichtig


Funktion. Es erscheint häufig wie eine Schwelle, die der Klient überschreitet, wenn er dazu bereit ist. Meinem Eindruck nach sorgt der Organismus in dieser Situation sehr gut für sich selbst. Ich halte therapeutisch weder ein Forcieren noch ein Unterdrücken für angesagt, kontaktvolle Präsenz ist genug. Es fällt mir auch auf, dass im Zuge einer längeren Therapie die Symptomatik nach und nach verschwindet, was die Hypothese "Hyperventilation als Ausdruck von Panzerung" stützt.

Das Hyperventilationssyndrom ist trotz seiner Häufigkeit weitgehend unverstanden. Der Artikel ist als Beitrag zu einer Diskussion zu verstehen, von der sich der Autor wünscht, dass sie gerade unter SKAN - Leuten heftiger geführt wird.

Literatur

(1) Steure, J., Hoffmann U., Vetter W.: Hyperventilationssyndrom. Dtsch. med. Wschr. 120 (1995), 884-889

(2) William N. G.: The Pathophysiology of Hyperventilation Disorders. Chest 109 (1996), 516-534

(3) Wilhelm Reich: Charakteranalyse. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1989

(4) B. K. S. Iyengar: Licht auf Pranayama. Scherz, Bern 1992

(5) Stanislav Grof: Das Abenteuer der Selbstentdeckung. Kösel1987

(6) Michael Sky: Breathing.Bear & Company, Santa Fe 1990

(7) David Boadella: Life Streams

(8) Hornsveld H. K. Garssen B., Fidelqij M., et.al.: Double-blind Placebo-controlled

Study of the Hyperventilation Provocation Test and the Validity 01 the Hyperventilation

Syndrom. The Lancet 348 (1996), 154-58

(9) Ralf Hausmann: Ist Skan spirituell oder: Was macht glücklich? Skan Reader 5

(1996), 100-108

(10) Loil Neidhöfer: Wilhelm Reich der Mann des Jahrhunderts. Skan Reader 5