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Luciano Rispoli und Barbara Andriello
KÖRPERPSYCHOTHERAPIE UND CHARAKTERANALYSE
Einige Techniken der Vegetotherapie
Atmung
Die Vegetotherapie arbeitet mit der Atmung anders als die meisten
Körpertherapien, denn sie will mit ihr nicht unbedingt Entspannung,
Konzentration oder einen veränderten Bewusstseinszustand erreichen.
Unser eigenes therapeutisches Modell stützt sich auf viele ihrer
Hypothesen und Techniken zur Erkundung funktioneller Ungleichgewichte
und ihrer Kompensation - deshalb wenden wir die Atmung auch genau bei
diesen und für diese Prozesse an. Unsere Atmungstechniken zielen nicht
auf eine spezifische Länge der Einatmung, einen bestimmten Rhythmus
oder spezielle Effekte ab, wie im Yoga oder Autogenen Training;
stattdessen geht es um eine natürliche Atmung, wie sie z.B. Kinder
haben - d.h. um eine physiologische Bewegung, an der der ganze Körper
teilnimmt. Bei einer noch nicht allzu rigiden somatischen Struktur
beobachten wir eine Atmungs- "Welle", die zuerst den Bauch ausdehnt
(das Zwerchfell senkt sich, damit die Luft in die unteren
Lungenbereiche gelangt), dann die Brust hebt und den oberen Teil der
Lungen bis in die Spitzen hinein erweitert. Währendessen dehnt sich der
ganze Körper aus und das Rückgrat streckt sich, so dass die beiden
Extreme, Kopf und Steißbein, auseinanderstreben.
Bei der Ausatmung leert sich die Brust und fast gleichzeitig auch der
Bauch. Die Luft wird nicht sehr stark herausgedrückt, sondern fließt
von selbst hinaus, wenn sich alle an der Atmung beteiligten Muskeln
(Zwischenrippenmuskeln, Schulter- und Rückenmuskeln), entspannen. In
Umkehrung der vorherigen Phase streben Kopf und "Schwanz" nun
aufeinander zu, während sich der ganze Körper, um sich zu leeren und zu
erweichen, in einer Art allgemeiner Entspannung, aufrollt.
Die Atmung von charakterlich und somatisch rigiden Erwachsenen und
Kindern ist häufig sehr eingeschränkt und blockiert; nur ein geringer
Teil des möglichen Atmungspotentials wird wegen der Neigung, "zu
halten" und durch Anspannung zu kontrollieren, genutzt. Das verringert
die Mobilität der Muskeln und erlaubt ihnen nicht, zu kontrahieren und
sich wieder völlig zu entspannen. Wie bei vielen therapeutischen
Techniken dient auch die Atmung gleichzeitig zwei grundlegenden
Funktionen. Einmal zur Diagnose und zum anderen als Intervention.
Diagnose
Bei genauer Beobachtung, nicht nur durch Betrachten sondern auch
Berühren der Brust- und Bauchregion, können wir die verschiedensten
Dis-Funktionen im Atmungszyklus festmachen. Zur besseren Illustration
unterteilen wir sie in sechs
Kategorien:
I. Die Brustatmung
Das Zwerchfell ist unbeweglich; die Atmung findet nur in der Brust und
im oberen Teil der Lunge statt und erreicht nicht die Bereiche
unterhalb der Taille. Charakteristisch für diesen Atmungstyp ist die
Atemlosigkeit bei Anstrengung, weil natürlich der Sauerstoff nicht
ausreicht. Wir stellen auch einen beträchtlichen Mangel an Verbindung
zwischen den oberen und unteren Körperteilen fest. Ein besonderer
Atmungstyp wird Hochbrustatmung genannt.
Bei einem anderen wiederum wird die Luft" geschluckt". Der Sauerstoff
wird geräuschvoll durch die Kehle eingesaugt, während sich die Brust
selbst kaum bewegt. Dies kann die Folge einer möglicherweise gewaltsam
erzeugten Zwerchfellblockade sein; dasselbe geschieht nämlich, wenn
jemand extrem erschreckt wird. Die Luft strömt forciert ein, es wird
jedoch wenig ausgeatmet. Wir stellen die Hypothese auf, dass dieser
Atmungstyp hauptsächlich das sympathische vegetative System und jene
Funktionen, die mit ihm symptomatisch verbunden sind, stimuliert. Bei
einer harmonischen und spontanen Atmung kann die Pulsfrequenz
bemerkenswerten Variationen zwischen der Einatmungsphase
(Beschleunigung) und der Ausatmungsphase (Abschwächung) unterliegen.
Solche Situationen sollten mit besonderer Vorsicht behandelt werden,
denn wenn wir die Atmung ohne offene nach unten führende Kanäle
mobilisieren, erzeugen wir eventuell einerseits zu starke Empfindungen,
die nach oben zum Kopf schwappen, wie Schwindel, Hitzewellen etc.,
andererseits Tetanie (eine Art rigider Kontraktion, bei der fast jede
muskuläre Beweglichkeit fehlt), einem Aspekt der Hyperventilation. In
den frühen Jahren der Vegetotherapie kam dieser zufällige Effekt der
Atmung allzu häufig vor. Dabei werden bestimmte Proteine freigesetzt,
die eine schmerzvolle Unbeweglichkeit erzeugen. Der Klient fürchtet
dann, diesem Zustand nicht mehr entrinnen zu können. Heutzutage wissen
wir, dass diese Effekte für den therapeutischen Prozess nicht von
Nutzen sind. Sie tauchen fast immer auf, wenn die Atmung auf der
Hochbrustebene forciert wird.
Die Zwerchfellatmung, die die unteren Bereiche erreicht und den ganzen
Körper einbezieht, führt niemals zu Tetanie. Ganz im Gegenteil befähigt
sie den Patienten zum Kontakt mit jenen Teilen, die chronisch
kontrahiert sind, und das auf eine viel ruhigere, sanftere und
wesentlich bessere Art und Weise, weil sie die Wahrnehmungsblockade
zugunsten starken Zitterns auflöst.
2. Die chronische Einatmungshaltung
Wenn wir zur Überwindung von Schwierigkeiten unsere Energien
konzentrieren, neigen wir dazu, "die Luft anzuhalten", auch wenn wir
ansonsten normal atmen. Dauert diese Atmungsart über das Ende des
Zwischenfalls, der Angst oder der Gefahr, die sie auslöste hinaus an,
geht der Organismus daraus nicht mit einem Gefühl der Stärke hervor,
sondern schwächer und zerbrechlicher, weil in allen Geweben frischer
Sauerstoff fehlt. Dieser Atemtypus entstand aus einer vergangenen
Notwendigkeit heraus, vielleicht wegen einer Angstsituation und dem
damit zusammenhängenden Bedürfnis, sich selbst zu stärken. Wenn jemand
diesen Mechanismus dauernd anwendet, wird er chronisch. Es besteht
dabei eine Neigung zur Brustatmung. Das niedrige Atmungsniveau
vermindert, diese Hypothese könnte man aufstellen, die Sensibilität für
Schmerz und ist daher eine Art Anästhetikum. Aus diesem Grunde wird der
Atem wie bei einer Anstrengung angehalten. Die schwache Atmung soll die
mit den kontrahierten Zonen oder Dis-Funktionen verbundenen
Unannehmlichkeiten vermeiden. Es ist allgemein bekannt, dass Kinder
ihren Schmerz durch eine extreme Einatmungshaltung vermindern, so als
ob sie die Luft ansaugten. Genauso halten oft auch Erwachsene ihren
Atem automatisch ohne zu denken an, um den Schmerz nicht zu fühlen. Nun
verstehen sie vielleicht besser, warum die Atmung eine der
theoretischen und therapeutischen Achsen ist, um die sich unser Modell
dreht. Bei jeder Veränderung des Muskeltonus, der chronischen
Haltungen, Blockaden und internen Störungen finden wir gleichzeitig
eine Vermin¬derung oder Änderung des Atemniveaus, die zum Ziel hat,
angsterfüllte Wahrnehmungen zu blockieren.
3. Unkoordinierte Atmung
Hier gibt es keine wirkliche Zwerchfellblockade, aber die Atmungswelle
ist nicht sehr harmonisch: der Rhythmus der Ausdehnung von Brust und
Bauch ist unregelmäßig. Die Brust hebt sich vor dem Bauch, oder
Atemzüge, die auf ausgeglichene Weise beginnen, verändern sich
plötzlich nach der Hälfte des Prozesses; oder sukzessives, wiederholtes
Entleeren der Brust wird mit Zwerchfellbewegungen und einem
korrespondierenden Entleeren des Bauches durchstreut.
4. Sprunghafte Atmung
Zwerchfell und Brust sind zwar beweglich, aber nicht auf
ununterbrochene und fließende Art. Die Muskeln sind angespannt. Sie
entspannen sich während der Ausatmung oder werden während der Einatmung
mit sprunghaften Bewegungen aktiv, was einen charakteristischen
fragmentierten Rhythmus erzeugt. Wir finden diese Atmung bei Kindern
nach heftigem Weinen und Schluchzen.
5. Bauchatmung
Das Zwerchfell ist ausreichend beweglich und erlaubt die Ausdehnung des
unteren Teils der Lungen und des Bauches, die Brust bleibt jedoch
völlig unbeweglich, auch wenn z.B. ein heftiger Seufzer notwendig wäre.
Die Brust sieht bedrückt aus. Es gibt Schwierigkeiten in beiden Phasen
des Atmungszyklus. Eine besondere Unterkategorie nennen wir Bauchatmung
mit Rückschlag. Während der allmählichen Ausatmung und dem Absinken des
Bauches (als Ergebnis des sich entspannenden Zwerchfells) sehen wir
plötzlich sehr klar eine Art Rückschlag nach oben, der von einer
Muskelkontraktion auf der Bauch- und Zwerchfellebene verursacht wird.
Es sieht wie ein kleiner Sprung aus, der, so unsere Hypothese,
vielleicht mit einer immer noch sehr starken Angst, tatsächlich
loszulassen, verbunden ist.
6. Die falsche Zwerchfellatmung
Hier bewegt sich das Zwerchfell anscheinend, weil sich der Bauch
ausdehnt. Aber bei näherer Betrachtung geschieht dies durch die sich
anspannenden und den Bauch herausdrückenden Bauchmuskeln. Der
Zwerchfellboden bleibt hingegen angespannt und unbeweglich. Die
tatsächlich eingeatmete Luftmenge ist sehr klein. Diese Art Bewegung
wird oft von einem wirklichen Wunsch und Bedürfnis geleitet, besser und
tiefer zu atmen, aber die unbewußten Anstrengungen zentrieren ihre
Aktivität auf eine dem Zwerchfell benachbarte Muskelgruppe, die auf
keinste Art und Weise an einer angemessenen Atmung teilnimmt.
Atemdiagnose und funktional benachbarte Zonen
Wenn wir die Atmung verstärken, können wir, gemeinsam mit dem
Patienten, viele Informationen über Blockaden und Kontraktionen auch
anderer Körperteile erhalten. Wenn der Patient chronisch kalte Hände
hat, wird er sie bei verstärkter Atmung zu Beginn der Therapie noch
kälter spüren. Andere Patienten werden Schmerzen fühlen, die sie vorher
noch nie bemerkten, z.B. im Nacken, wieder andere eine Härte und ein
Festhalten in der Kiefergegend, vielleicht erscheinen auch Asymmetrien
zwischen linker und rechter Seite, oberen und unteren Teilen etc. Im
allgemeinen ist die Atmung eine gute Diagnosemöglichkeit, die sich auch
auf jene Körperteile erstrecken kann, die durch Frustrationen und
Notfälle in einer bestimmten Art und Weise aktiviert wurden. Wenn wir
mit der Atmung arbeiten, tauchen meist sowohl körperlich wie emotional
empfindsame und auch schmerzvolle Situationen auf.
Z.B. soll der Rücken häufig emotionale Zustände (Liebe, Feindseligkeit
usw.) daran hindern, auf die Vorderseite des Körpers zu gelangen. Der
Rücken erlaubt diesen Gefühlen nicht, sich durch Gesicht, Arme und
Hände auszudrücken; er spielt deshalb in Zusammenarbeit mit der Atmung
eine große Rolle, wenn es darum geht, Konfliktsituationen weg- oder
zurückzuhalten. Ein aus ständiger Angst heraus entstandener
Zwerchfellblock kann eine Kontraktion der Schultern vom Schädelansatz
des Nackens bis zu den Interskapularmuskeln auslösen. Es gibt noch
viele andere ähnliche Beispiele, was wir hier jedoch sagen wollen ist,
dass wir schon auf einer frühen Stufe der Therapie herausfinden können,
was auf den verschiedenen Ebenen der emotionalen Schichten geschah;
durch die Aktivierung der Atmung treten die signifikanten Verbindungen
der verschiedenen Bereiche zutage. Diese Zonen veränderten sich
aufgrund einer bestimmten Reaktion auf die Umgebung, infolge einer
bestimmten Emotion in einer bestimmten Kindheitsperiode.
Therapeutische Funktionen der Atmung
Wir ermutigen die Atmung, wieder als natürliche physiologische Welle zu
fließen; entweder indem wir den Patienten bitten, die entsprechenden
Bewegungen auszuführen oder indem wir ihm direkt durch Massage der
kontrahiertesten Bereiche helfen, z.B. dort, wo das Zwerchfell an den
Zwischenrippenmuskeln von Brust und Rücken befestigt ist, oder indirekt
am Beckenboden, den Beinen und vor allen Dingen Nacken und Schultern.
Das entspannt auch die Atemmuskulatur und dehnt die Atmung nach unten
aus.
Die Wiederherstellung der Atmung ist eine ganz eigene Intervention: sie
ist die Re-Integration der Funktion in ihrer Ganzheit, die
Wiederherstellung nicht nur eines besseren Atemvolumens sondern der
originalen Kapazität, d.h. des autonomen und spontanen, in der Kindheit
präsenten, Atmungstypus.
Die Verbesserung der Atmung (Zwerchfellatmung in Bauch und Brust mit
einem leicht schnelleren Entleeren der Brust vor dem Bauch, gefolgt von
einer langen Ausatmungspause ) wirkt nicht nur auf jene Zonen, die
direkt mit ihr zu tun haben, sondern sie beseitigt auch viele
vegetative Störungen.
Die Zonen chronischer Anspannung halten viele innere lustvolle und
unlustvol¬le Empfindungen und intensive emotionale Erfahrungen fest.
Die Atmung wirkt also fast selbstregulierend genau auf jene Zonen, wo
sie am meisten gebraucht wird (vorausgesetzt, dass angemessene
therapeutische Interventionen sie auf allen anderen Ebenen begleitet).
Durch die Beschäftigung mit der Atmung wird dem Klienten deren
Notwendigkeit erst einmal richtig bewusst. Daraus entsteht der Impuls,
besser zu atmen. Oft beginnen die Klienten zu gähnen, als ob sie nach
Luft "hungerten" und das paradoxerweise umso mehr, je voller sie atmen.
Dieses Auftauchen aus der Unbeweglichkeit lässt ein Bedürfnis, die
Muskeln zu strecken, Körperteile zu bewegen und aus einer Starre
herauszukommen, entstehen, die ihnen vorher nicht bewusst war; manchmal
entsteht ein Gefühl der Müdigkeit, was wie eine Verschlechterung
aussehen kann, stattdessen aber nur einen Zustand des Organismus
enthüllt, der bis dahin unbewusst verdeckt und bekämpft wurde. Dieser
verbesserte Kontakt mit sich selbst, dieses Gefühl der eigenen größeren
Präsenz, ist eine gute Basis für weiterführende therapeutische Arbeit.
An dieser Stelle spürt der Klient wahrscheinlich z.B. das Bedürfnis,
seine übermäßige Muskelkontrolle bei der Ausatmung wirklich
"loszulassen" und zu jener tiefen, entspannenden, aber dennoch
erfrischenden und stützenden Atmung zu gelangen, die das Signal einer
wiederentdeckten Integration ist.
Es gibt noch andere therapeutische Hilfsmittel, die gemeinsam mit der
Atmung angewandt werden können: wir können dem Patienten z.B.
vorschlagen, die Ausatmungsphase zu verlängern, ohne jedoch in einem
Spasmus zu kontrahieren, sondern einfach durch eine sanfte Veränderung
der Muskelstruktur, durch die die Atmung bis ins Becken und die Beine
und Füße gelangt. Es gibt entsprechende Techniken, die bei
Herzstörungen, wie Tachykardie oder Angina pectoris gut wirken, ebenso
andere zur Lösung der alviolen Spasmen bei Asthma. Wir möchten an
dieser Stelle jedoch nicht näher auf diese spezifischen Techniken
eingehen.
Berührung und Kontakt
Giorgio:
Giorgio atmet nur in die Brust, die immer ein wenig hervorstehend und
überdehnt erscheint; er neigt zu grundloser Unruhe mit Tachykardie und
großer Angst und kann kaum intensiv atmen, weil er sofort eine Druck in
seiner Brust spürt, der bei Berührung oder Massage besonders
schmerzvoll wird. Giorgio scheint wie in einem "Käfig" gefangen, dem
Käfig seines Oberkörpers, der sein zwanghaftes Bedürfnis enthüllt,
allzeit bereit und mutig zu sein. Nach längerer Arbeit am Becken konnte
er schließlich seine Atmung mobilisieren. Das Becken war zurückgezogen
und kompensierte damit das durch die vorgestreckte Brust entstandene
Ungleichgewicht. Es schmerzte einerseits, war andererseits aber auch
mit seltsamen und vitalen Empfindungen angefüllt.
Beim Atmen spürte Giorgio ein Zwicken in den Genitalen und Strömungen,
die zu seinen Füßen flossen.
Die Bewegung und Massage von Becken und Beinen löst oft ein Zittern
aus, das sich wellenartig zu den Füßen bewegt, Wellen, die wie
Vorläufer einer tieferen Zwerchfellatmung erscheinen. Mit speziellen
und wohlbestimmten Bewegungen reaktivieren nun die Hände des
Therapeuten Funktionen auf der abdominalen Ebene, die bisher zu
begrenzt und gehemmt waren. Die Berührung kann, teils fest, schmelzend
und wärmend, teils leicht und ermutigend sein. Sie soll die innere
Bewegung des Organismus zu den deprivierten Zonen hin fördern. Die
Berührung spielt in der Vegetotherapie eine grundlegende Rolle und
ermöglicht, wenn sie zusammen mit Atmung, Bewegung und Körperhaltung
angewandt wird, ein weites Spektrum spezifischer Interventionen. Mit
einer Massage können wir z.B. den Fluß der Wärme in Arme und kalte
Hände oder das Gleichgewicht der Gewebsflüssigkeit der Haut fördern,
Muskelmasse bewegen und mobilisieren oder direkt träge und apathische
Bereiche des Körpers stimulieren, was dem Patienten vielleicht zum
erstenmal Spannungen und emotionale Faktoren, die mit diesen Bereichen
verbunden sind, zu Bewusstsein bringt. In solchen Bereichen finden wir
eine hohe Konzentration an hypertonischen Muskeln, Ödemen, Schwellungen
und eine nervöse Sensibilität.
Alessandra:
In einer Gruppensitzung zeigte Alessandra eine wachsende Ruhelosigkeit
(die teilweise für sie charakteristisch ist), die keinen Ausgang zu den
anderen Gruppenmitgliedern zu finden schien. Ihre Unruhe wurde immer
stärker und manifestierte sich in Verhärtungen und Schwellungen in der
oberen Brust, in Nacken und Kehle, führte zu einer Rötung der Haut, und
einer Schwere und Schmerzen im Halsbereich. Diese Symptome hängen mit
einer charakteristischen Falle zusammen, in einem Satz ausgedrückt: "Es
reicht mir jetzt mit euch hier. Warum kümmert ihr euch nicht um mich?"
Der Therapeut versteht die tiefere Botschaft ihrer Charakterfalle und
durchbricht den gewöhnlichen Ablauf, mit dem Alessandra üblicherweise
die Aufmerk¬samkeit von sich ablenkt. Stattdessen lädt er sie ein, sich
auf die Gruppe einzulassen. Die nun folgenden Aktionen führen zu einer
Veränderung ihrer bisherigen Rolle und zu einer Darstellung ihrer
Gefühle. Sie kulminieren (während sie auf dem Bauch liegt, den Kopf in
Richtung Therapeut), in einem starken und intensiven Wegdrücken der
Hände des Therapeuten. Das leitet in einen regressiven Ausbruch von
Wut, Schreien und Bewegung über und, sobald der Widerstand der Hände
des Therapeuten überwunden ist, zu einem Fluss sehr intensiver Gefühle
und Empfin¬dungen. Die Berührung wirkte also auf jene Bereiche, in
denen sich die ganze Wut und der ganze Groll des Patienten
physiologisch und emotional aufgebaut hatte.
Alessandras charakteristische Symptome zeigten sich besonders im oberen
Teil ihres Körpers: Rötung, Anschwellen, Kontraktionen, all das wurde
immer intensi¬ver und erreichte schließlich eine nicht mehr erträgliche
Grenze. Als sie die vom Therapeuten mit seinen Händen aufgebaute
Barriere durchbrach und ihre Stimme
nicht länger blockiert war, flossen Wellen des Zitterns durch sie, die
ihren Kopf und Nacken völlig lockerten.
In diesem Fall bestand die Berührung aus Druck, widerstandgebendem
Druck. Es gibt viele Arten von Berührung und Kontakt und manchmal ist
nicht immer klar, was die eine von der anderen unterscheidet. Lassen
Sie uns jedoch an dieser Stelle zumindest drei Arten der Beziehung
zwischen den Händen des Therapeuten und dem Körper des Patienten
erläutern.
1. Die versichernde Berührung
Die Hand unterstützt und akzeptiert eher, als dass sie Spannungen löst
und Beweglichkeit fördern möchte. Es geht hier nicht so sehr um ihre
Bewegung, sondern um das Gefühl ihrer Präsenz, ihrer Wärme und
Sicherheit. Ihr "Halt" kann stark oder leicht und sanft sein. Man kann
den Patienten auch mit der einen Hand "halten", während die andere
bestimmte Muskeln massiert. Diese Massage kann freundlich aber auch
eindringlicher sein und wird dennoch wegen der Präsenz der anderen,
haltenden und versichernden Hand "akzeptiert". Eine versichernde
Berührung kann während einer ganzen Therapiesitzung helfen,
schwierige, tiefe oder teilweise regressive Gefühle loszulassen. An
dieser Stelle möchten wir an Winnicott erinnern, der betont, wie
wichtig es ist, das Neugeborene auf eine Art und Weise zu halten, die
es ihm ermöglicht, die seltsamen und teilweise erschreckenden neuen
Umstände zu bewältigen. Vielleicht denken einige Eltern jetzt daran,
wie sie ihr Baby baden. Vielleicht haben Sie schon einmal bemerkt, wie
das Kind erschrickt, wenn es Ihnen aus den Händen rutscht und wie
beruhigend und versichernd ein guter "Halt" ist.
2. Die "provokative" Berührung
Sie wird in Bereichen großen Leidens, intensiven Schmerzes und geringer
Beweglichkeit angewandt. Sie besteht nicht notwendigerweise aus großem
Druck; der hängt vom betroffenen Bereich, der emotionalen Situation und
der Phase der Therapie ab. Manchmal führen auch schon kleine und
leichte Berührungen zu starken Empfindungen, wo vorher kaum etwas
gespürt wurde. Z.B.leichtes Klopfen mit den Fingerspitzen auf die
Zwischenrippenmuskeln in Zwerchfellhöhe, wodurch heftige, prickelnde
Empfindungen und der unwiderstehliche Wunsch entstehen, wegzulaufen:
die gleiche Berührung auf Kopfhaut und Nacken kann eine Gänsehaut am
Rückgrat verursachen.
3. Die integrierende Berührung
Wir können auch weit voneinander entfernte, nicht mehr als
zusammengehörig empfundene somatische Zonen wieder in Kontakt bringen,
die tatsächlich funktio¬nell miteinander verbunden sind. Hierzu gehört
die umfassende Massage und die über große Teile des Körpers nach unten
besonders in Längsrichtung ausstreichende Bewegung, z.B. von den
Schultern den Rücken und die Arme hinunter, von der Brust zu den
Beinen. Das führt zu einem verlorengegangenen Gefühl der Ganzheit und
Beständigkeit. Diese Berührung schließt oft eine Therapiephase ab und
konsolidiert das, was während der Sitzung geschah.
Posturale und emotionale Mobilisierung
Wenn wir von Bewegung sprechen, meinen wir nicht nur das, was wir am
Organismus beobachten können, sondern auch die Art der Intervention,
die kristallisierte und erstarrte Zustände verändern soll.
Körperbewegung ist eben nicht nur auf jemanden zugehen, grüßen,
angreifen, umarmen etc., sondern auch die nicht so direkt sichtbare
Körperhaltung. Hier geht es vor allem auch um die zwischen den
verschiedenen Körperteilen bestehenden Verhältnisse und Proportionen.
Wie ist der Winkel zwischen Kopf und Schultern, das Verhältnis von
Schultern und Brust, die Biegung des Rückgrates in Proportion zum
Becken, drehen sich die Beine nach außen oder innen, in welchem Winkel
werden sie gehalten usw.?
Es gibt bei den gestreiften Muskeln ein Bewegungskategorie, die keiner
präzisen Aufgabe folgt und keine bestimmten Körperhaltungen
aufrechterhalten soll. Zu ihr gehören die kleinen Anpassungsbewegungen,
ein plötzliches Zucken der Mus¬keln oder unwillkürliche Gesten und
Ticks. Eine sehr interessante Kategorie, weil es bei ihr nicht um
sozial kodierte Signale geht, sondern um die Grenzen zwischen
willentlichen Bewegungen und solchen, die von tieferen Teilen des
Selbst ausgelöst werden und die deshalb emotionale Zonen enthüllen, die
ansonsten nur schwer erreichbar sind.
Bisher haben wir nur über klar erkennbare Bewegungen gesprochen.
Daneben gibt es aber noch andere: jene ganz feinen Bewegungen,
Vibrationen, pulsierenden Muskeln, jene Kontraktions- und
Entspannungsbewegungen, die wir nur durch sehr genaue Beobachtung oder
direkten Kontakt erkennen können. Wir sollten uns noch einmal
vergegenwärtigen, dass sich in der Vegetotherapie die Begriffe
Mobilität und Motilität auch und vor allem auf die inneren Teile des
Körpers beziehen: auf die Empfindungen von Bewegungen der
Gewebsflüssigkeiten, auf die Bewegungen des Verdauungssystems, auf
innere Strömungen, Vibrationen, Prickeln usw.
Das sind Veränderungen, die zu Beginn vielleicht seltsam und
unvergleichbar erscheinen, fast wie ein Symptom oder ein Problem, das
den natürlichen biologischen und physiologischen Zustand einer Person
verändert. Die Veränderung ist tatsächlich da, aber der Eindruck, sie
sei "seltsam" oder "gefährlich" kommt daher, dass in einer bestimmten
Zone die Unbeweglichkeit der Beweglichkeit Platz macht und nun
Empfindungen erscheinen, die völlig vergessen und außer Gebrauch waren.
Das bedeutet die Bewegung von Gewebsflüssigkeiten, die Osmose zwischen
Geweben, Veränderungen bei den Druckverhältnissen, unwillkürliche
Aktivitäten der glatten Muskulatur, elektrische Impulse; dies alles
wird in Form von Strömungen, Prickeln, Spannungen, Gefühlen der Leere,
Kälte oder Hitze etc. empfunden. (Rispoli 1985,S.76) Die
Zusammensetzung dieser Bewegungen ist von besonderer Bedeutung für die
Bestimmung des Therapiekurses. Sie kann als eine Anordnung von
wohldefinierten Signalen oder Faktoren gesehen werden, die dem
Patienten bezüglich seiner/ihrer Charaktersituation bewusst werden
sollte. Die meisten dieser Bewegungen, wenn nicht sogar alle, können
mit bestimmten Techniken in die Therapie eingebracht werden, entweder
wenn die Zeit reif dazu ist oder in der Re- Integrationsphase. Zu
anderen Zeiten kann der Therapeut, dem diagnostischen Rahmen des
Moments folgend, Ausdruckshaltungen oder Bewegungen vorschlagen, die
zu der gerade angerührten emotionalen Schichtung in Verbindung stehen.
Zur Vereinfachung der Diskussion schlagen wir folgende Klassifikation
möglicher Interventionen vor.
Beobachtung und therapeutische Induktion von Bewegung beim Patienten.
Die Art der Bewegung
a. sprunghaft, beständig, klonisch,
b. übertrieben, gerade angesetzt, abwesend,
c. unkontrolliert,
wiederholt, typisch,
d. eine unausgedrückte Emotion ersetzend.
Die Richtung der Bewegung
a. hin zur Außenwelt, expansiv sich zurückziehend,
b. aufwärts zum Kopf hin abwärts zu den Füßen (was eine ganze Skala von
Möglichkeiten zwischen diesen beiden Extremen andeutet)
Der
Bewegungstyp
a. fein... grob,
b. äußerlich... innerlich.
Therapeutisch angeleitete Bewegungen
Mobilisierende Bewegungen
Diese Bewegungen führen zu Veränderungen des Muskeltonus und zur
Wahrnehmung chronischer Zustände. Sie sollen die Elastizität der
betroffenen Zone erweitern. Es geht hier um den grundlegenden
Muskeltonus, denn mit willkürlichen Muskelbewegungen modifiziert man
nur die Länge oder Kürze der Muskeln, die
die grundlegende Funktion der halbautomatischen Regulation immer
überlagert.
Der Muskeltonus wird von einem "Gegenreaktionssystem" kontrolliert, das
den Zustand der Phasen (bezüglich des vorherrschenden Status und
relativ zu der vom Muskel auszuführenden Anstrengung) reguliert, nicht
absolut, aber relativ und differenziell. Z.B. hebe ich einmal nur den
Arm und ein anderesmal noch ein Gewicht dazu. Die gleiche Bewegung
beinhaltet zwei verschiedene Funktionen. Ich muss zum einen genau jenes
Maß an Anstrengung auf den grundlegenden Muskeltonus auflagern, das ich
brauche, um das Gewicht zu heben. Deshalb muss ich jedoch nicht den
grundlegenden Muskeltonus verändern. Ein gymnastisches Training der
Muskeln hält sie zwar in Form, verändert aber nicht die grundlegenden
Muskelblockaden.
Zittern
Die Muskeln des Rückens können zum Zittern gebracht werden, wenn wir
den auf dem Rücken liegenden Patienten bitten, seinen Kopf ein wenig zu
heben, nicht zu viel und nicht zu wenig, sondern geradeso, dass er ohne
großartige Kontraktion
erhoben bleibt. Die Schultermuskeln beginnen zu zittern, wenn sie ein
wenig gegen die leicht gegenhaltenden Hände des Therapeuten gedrückt
werden. Für jeden
Körperteil gibt es derartige Techniken, wobei wir aber nicht die tiefe
Zwerchfellatmung vergessen sollten, die sie immer begleiten müssen,
wenn wir vermeiden wollen, dass der Körper rigide und unempfindlich
wird.
Klonismen
Diese Muskelpulsationen sind schneller und nicht so intensiv wie der
Tremor. Im allgemeinen sind sie völlig unwillkürlich. Oft betreffen sie
nicht nur einen Teil, nicht nur bestimmte Muskelbänder, sondern ein
ganzes Empfindungsfeld. Hierzu gehören die Empfindungswellen des
Erbrechens, des Fröstelns entlang der Wirbelsäule, plötzliches Zittern
der Gliedmaßen, unerwartete Zuckungen der Arme, des Kopfes oder sogar
des Beckens (charakteristisch sind besonders jene beim Einschlafen,
die die Probleme deutlich machen, die entstehen, wenn es darum geht,
von einem Zustand der Wachsamkeit zu einem der Entspannung und der Ruhe
zu gelangen).
Vibrationen
Sie werden eher im Innern des Organismus gespürt und weniger als
Ergebnis einer Veränderung des Muskeltonus. Sie können auch z.B. durch
einen tiefen in Brust, Zwerchfell oder Kehle erzeugten Ton oder durch
ein Schütteln der Arme oder Beine hervorgerufen werden.
Anstrengungsbewegungen
Sie betreffen bestimmte Muskelbereiche und veranlassen sie, sich über
die willentliche Kontrolle des Patienten hinaus zu bewegen. Eines der
Hauptziele ist es, die in diesem Bereich verlorene Sensibilität
wiederzugewinnen; ein anderes, ihm oder ihr bestimmte Körperhaltungen
bewusst zu machen, die offensichtlich "inkorrekt" sind, indem wir auf
die Ausführung einer ganz bestimmten Körperhaltung bestehen.
Kontrahieren und Loslassen
Diese Übung soll das Maß des Muskeltonus verstärken und dadurch die
Selbstwahrnehmung erhöhen, weil der Kontrast zur darauf folgenden
Entspannung vergrößert wird. Ebenso umgekehrt.
Verändern und Schütteln
Hier geht es darum, eine Körperhaltung neu zu "justieren". Dazu gehören
Bewegungen, die beim Stehen, Sitzen oder Liegen, Anspannungen,
Irritationen, Lähmungen usw. beseitigen sollen. Dazu gehören viele oft
ganz bekannte und übliche Gesten wie eine kleines Treten, ein Schütteln
der Schultern, ein Verrutschen auf der Matte, eine Bewegung des Armes,
eine Veränderung der Nackenhaltung usw. Ganz charakteristisch sind
Streckbewegungen, Mimik und ein Beugen des Rückens oder auch ein
sanftes oder heftigeres Massieren und Reiben z.B. eines eingeschlafenen
oder trägen Armes.
Leichte, sanfte Bewegungen und Selbst-Massage
Sie sind den vorangegangenen ähnlich und stressen die Muskeln durch
ihre Sanft- und Langsamheit nicht, sondern reaktivieren die Feinheit
der Sensibilität. Selbst-Massage meint hier nicht so sehr die direkte
Massage, sondern kleine, aktive Bewegungen und Veränderungen von
Körperhaltungen, die schmerzvoll sind, z.B. ein leichtes Verschieben
des Nackens, der Schultern (kreisend), eine Lockerung des unteren
Rückens oder ein leichtes Ausstreichen verschiedener Körperteile mit
den Händen.
Ausdrucksbewegungen
Hier geht es darum, ein Gefühl gegenüber einem anderen Menschen
auszudrücken, entweder gegenüber dem Therapeuten oder einer
(imaginären) dritten Person. Die angeleitete Bewegung soll in diesem
Falle den somatischen Zustand mit dem dazu gehörigen Gefühl wieder
verbinden (das bisher noch nicht gänzlich erreicht oder erlebt wurde).
Das können aggressive oder negative Gefühle sein (treten, schlagen,
Gesten der Zurückweisung oder des Wegdrückens); oder solche expansiver
Art (bitten, rufen, umarmen) und die daher hauptsächlich die
Vorderseite des Körpers beteiligen. Ausdrucksbewegungen betreffen nicht
nur die Gliedmaße, Arme und Beine, sondern auch die Augen und das
Gesicht. Oft ignoriert, aber gleichermaßen wichtig sind hier die
Beckenbewegungen.
Re-integrierende Bewegungen
Sie sollen verschiedene Funktionen wieder miteinander verbinden.
Die Wiederherstellung von Funktionen
Hierzu gehören Wahmehmungsfunktionen, wie Berühren, Riechen, aber auch
motorische Funktionen, bei denen es darum geht, harmonischere
Bewegungen zu erreichen, die zwar jetzt normal, aber unkoordiniert und
vom Ziel abgetrennt eingesetzt werden. Die Funktion des Diaphragmas
kann z.B. durch Gähnen wieder hergestellt werden. Das gilt auch für
die Angelpunkte des Körpers: Hals-Kopf, Becken-Beine, Schultern-Arme.
Verschiedene Körperteile wiederverbinden
Gemeinsam mit der integrierenden Berührung können Bewegungen
vorgeschlagen werden, die als voneinander getrennt wahrgenommene Zonen
wieder verbinden, z.B. durch Herunterdrücken der Schultern,
Hochspringen oder mit aller Kraft und allem Gewicht auf die eigenen
Füße stampfen (Verbindung von oberen und unteren Körperteilen). Wir
können herumgehen, die Atmung nach unten bringen und versuchen, uns
schwer zu fühlen oder wir versuchen, uns leicht und agil zu spüren. Wir
können uns entlang der vertikalen Körperachse selbst umarmen und so
verschließen oder ebenso umgekehrt auch öffnen und damit die Brust, das
Becken und die Kehle erweitern. Hierzu gehören auch schwingende und
rollende Bewegungen, durch die wir die Verbindung von linker und
rechter Seite oder oberen und unteren Körperteilen spüren können.
Daneben gibt es die vielen mit einer bestimmten Atmung ausgeführten
Bewegungen, z.B. kann während der Einatmung das Becken nach hinten
gedreht werden und während der Ausatmung wieder nach vorne rollen, oder
das Becken drückt in Rückenlage mit leichten Schlägen nach oben,
begleitet von Atmung und Stimme, was oft die Empfindung, einen Raum zu
öffnen oder irgendwo hindurch zu kommen, auslöst. Andere Empfindungen
treten auf, wenn das Becken bei der Ausatmung in die Matte gedrückt
wird, denn dabei wird das eigene Wert- und Selbstbestimmungsgefühl
verstärkt. Die sogenannte "Jelly-Fish-Atmung" (Qualle) verbindet den
ganzen Körper. Wir halten dabei die Knie mit den Händen, ziehen sie
während der Ausatmung zur Brust und lassen sie während der Einatmung
mit langsam fließenden Bewegungen wieder gehen.
Regressive Bewegungen
Hierzu gehören alle Bewegungen, die die psychosomatische Regression
fördern und das Gefühl verstärken, sich vertrauensvoll dem Therapeuten
übergeben und ihm die Kontrolle überlassen zu können. Das sind alle
Bewegungen des "Anlehnens", wie z.B. den Kopf in die Hände des
Therapeuten geben, oder bei geschlossenen Lidern die Augen nach oben
rollen, gewiegt werden, sich in der fötalen Position einrollen, in
Armen gehalten werden, mit den Lippen saugen usw.
Beziehungsbewegungen
Sie haben vieles mit den Ausdrucksbewegungen gemeinsam, wir trennen sie
aber von ihnen, weil sie mit der aktiven mit dem Therapeuten erlebten
Beziehung zu tun haben und sich auf die jeweilige Übertragungsphase
beziehen. Hierbei geht es um offenes Anschauen oder Vermeiden, um
Wegdrücken oder Heranziehen usw. Z.B. drücken die Beine den anderen
synchron mit der Atmung und mit Stimmeinsatz weg. Oder, um eine völlig
andere Empfindung zu bekommen, Wegdrücken bei Einatmung und Heranziehen
der Knie bei Ausatmung. Dadurch wird die Ausdehnung und Entleerung
verstärkt.
Die hier dargestellten Interventionen sollten nicht mit einem eventuell
großen Bedürfnis "zu handeln" verwechselt werden, das dann erscheint,
wenn es Fehler in der Analyse gegeben hat oder wir uns von negativer
Übertragung oder den exzessiven Bedürfnissen positiver Übertragung
befreien wollen. Es geht hier nicht um "bewegen" oder "machen", um beim
Klienten oder der Klientin Ergebnisse zu "produzieren". Bewegung hat
nur Sinn, wenn sie Teil einer umfassenden Strategie und feinen Balance
zwischen beobachten-akzeptieren-verstehen einerseits und
stimulieren-verändern-handeln andererseits ist. Ebenso müssen wir uns
daran erinnern, dass die Grundlagen dieses Modells der Vegetotherapie
den dauernden analytischen Gebrauch der Übertragung beinhaltet.
Bezüglich der Bewegungen wird es
immer eigene innere Erfahrungen des Therapeuten geben, die er zum
Verständnis der Bewegungen des Patienten heranziehen kann. Weil diese
Erfahrungen jedoch selten identisch sind (dieselbe Enwicklungsphase und
dasselbe Ergebnis) sind, sollte der Therapeut unterscheiden und
verstehen können, welche Bedeutung eine bestimmte Bewegung für den
Patienten hat und welche Bedeutung die in ihm angerührte für ihn
selbst.
Bewegung ist jedoch nur eine Analyse-Möglichkeit der Beziehung neben
anderen, die letztlich tieferen Kontakt ermöglichen soll. Nur wenn wir
dies beachten, können wir das ganze Spektrum der Kommunikationskanäle
nutzen und diesem oder jenem Kanal entsprechend der objektiven
Situation, d.h. den verschiedenen Phasen der Analyse, verschiedenen
Strukturen des Selbst, verschiedenen Settings (institutionell oder
privat usw. ) Vorrang geben. Wir könnten hier von, aus bestimmten
Techniken (Beratung, Psychotherapie, Ausbildung), erzeugten "Modulen"
(Reglern) sprechen, die auf verschiedene Weisen zusammengesetzt werden
und die uns, bezugnehmend auf das gegenwärtige Modell der
Charakteranalyse, erlauben, eine Modularität des Settings in Betracht
zu ziehen.
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Barbara Andriello ist Vorstandsmitglied der Italienischen Gesellschaft
für Funktionale Körperpsychotherapie (S.LF.) und arbeitet am
Wilhelm-Reich-Institut in Neapel.
Luciano Rispoli ist Präsident des
Internationalen Wissenschaftlichen Komitees für Körperpsychotherapie
und des S.LF. und arbeitet ebenfalls am WRI in Neapel. Vico S.Maria,
App.23, Italien-80132, Neapel.
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